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Lunja Streunerhilfe – Hilfe zur Selbsthilfe in Serbien


Nach Feng Shui sind es die ungeraden, die verschlungenen Pfade, die Beständigkeit und Harmonie versprechen. Auf solchen ­„Umwegen” gelangte auch Sina Fingerhut zu ihrem hervor­ragenden Tierschutz­modell in Serbien. „Hilfe zur Selbsthilfe” ist ein neues deutsch-­österreichisches Projekt, das als Wegweiser für andere Länder die Reduktion von Streuner­populationen realisieren soll.

Anfangs fühlte ich mich nur ­ohnmächtig …
Begonnen hatte alles mit Luke, einem Pointermischling, und einer Flut von Tierhilferufen aus ganz ­Europa. Eigentlich wollte die bayrische Geschäftsfrau, die gemeinsam mit ihrem Mann das Hotel Kapuziner­hof in Laufen sowie ein Catering-Unternehmen betreibt, nach dem Tod ihrer geliebten Luna gar keinen Hund mehr. Doch das Schicksal hatte andere Pläne. „Nach einem Foto von uns beiden in einem Magazin, auf dem auch unsere verstorbene Hündin mit abgebildet war, erhielt ich Hunderte von Bittgesuchen, einen Hund aufzunehmen, und kam in Kontakt mit der österreichischen Journalistin und Tierschützerin Erika Ortner, die heute meine Freundin ist. Ich war schockiert, wie viele Hunde um ein Zuhause bettelten. Es machte mich erschrocken und traurig und vor allem, ich fühlte mich entsetzlich machtlos zu sehen, wie viele Tierschützer verzweifelt um das Leben einer armen Tierseele kämpften. Ich sah die schrecklichsten Bilder, las die schauderhaftesten Texte von gequälten Hunden, ­Katzen, Pferden, Eseln. Ich muss helfen, un­bedingt, schrie es förmlich in mir”, so beschreibt Sina Fingerhut ihre ­ersten Erfahrungen im Tierschutz.

Luke hat mein Leben verändert
Weil sie mit den unzähligen Hilfeschreiben überfordert war, sagte sie spontan dem ersten Hunde-Notfall zu, der per Mail ins Haus geflattert kam. Das war Sultan, ein angeblich gehörloser Pointermischling aus einer französischen Tötungsstation. „Ich werde sein Leben retten und er meins”, verkündete sie ihrem Mann, und Sultan kam. „Er heißt jetzt Luke und ist für uns der beste Hund der Welt. Und von wegen taub … Ich kann mit ihm im Flüsterton sprechen, und er hört es. Er hatte sich wohl bloß aufgegeben im Tötungslager. Dort nahm er nichts mehr wahr, alles war ihm egal – so dachte man, er sei gehörlos.” Einmal in Kontakt mit Tierschutz gekommen, ließ sie das Thema nicht mehr los. Erst spendete sie einfach Geld, dann organisierte sie Futter- und Sachspenden-Transporte zu auslän­dischen Tierheimen.

Ich hätte auch irgendwo anders beginnen können
Inzwischen, nur ein Jahr später, betreibt Sina Fingerhut eine eigene humanitäre Ambulanz im serbischen Loznica, gründete den Verein Lunja-Streunerhilfe grenzenlos e.V. und unterstützt ihre serbische Freundin Rada und deren Verein Lunja ­Loznica. Warum gerade Loznica? „Weil ich irgendwo beginnen musste. Es hätte auch ganz woanders sein können. Doch dieses Tierheim mit seinen durchnässten und im Wasser stehenden, abgemagerten Hunden kam mir als eines der ersten unter die Augen und trieb mir die Tränen in die Augen. Das war 2014, zur Zeit des Hoch­wassers in Europa.”

Nachhaltigkeit durch Geburtenkontrolle
Lunja ist übrigens die Abkürzung für Lutalica, was so viel wie Streuner bedeutet, und erinnert wohl auch an ihre verstorbene Hündin Luna. Grenzen­los steht für alle Länder mit einem großen Problem der Überpopulation von Streunertieren. Der Schwerpunkt von Lunjas Engagement liegt im Kastrationsprojekt der humanitären Tierklinik: ein Projekt, das zum Vorzeigemodell dafür werden könnte, wie man vor Ort effizient und nachhaltig helfen kann. Anstatt durch Importe von Streunertieren ausschließlich die ­Folgen der unkontrollierten Vermehrung zu bekämpfen, versucht Lunja vor Ort die vorhandene Streunerpopulation zu minimieren. Damit beschreitet der Verein einen neuen, vielversprechenden Weg in einem Land, das zwar nicht der EU angehört, doch dringend Hilfe be­nötigt. Das Projekt macht Mut und sucht Nachahmer. Sina Fingerhut: „Der Kreislauf der unerwünschten Tiergeburten, deren Leid wir zu mildern versuchen, muss unterbrochen werden. Bis dato behandeln wir nur die Folgen, lösen aber nicht das Kernproblem!”

Die erste humanitäre Tierklinik eröffnet ihre Pforten
Von den verheerenden Folgen des Balkankrieges traumatisiert und von Wirtschaftskrisen durchgerüttelt, leiden die Menschen nach wie vor unter den Auswirkungen der Vergangenheit. Das durchschnittliche Einkommensniveau ist niedrig, ähnlich wie seinerzeit unter der kommunistischen Ära. „Verursacher des Tierelends sind die Menschen, die ihre Tiere nicht kastrieren lassen, Jungtiere auf die Straße werfen, in Wäldern aussetzen oder sie gleich an Ort und Stelle erschlagen oder ertränken. Die, die überleben, vermehren sich weiter und der leidvolle Kreislauf beginnt von vorne – ein Fass ohne Boden. Viele Serben begegnen Tieren so unglaublich gefühlsarm, weil sie es nicht anders gelernt haben, sie haben es ihrer Vorgeneration abgeschaut und diese inhumane Einstellung an ihre Kinder weitergegeben. Vor allem diese Menschen haben das Streunerelend zu verantworten, müssen aber – obwohl sie die Gesetze missachten – keinerlei Sanktionen fürchten. Es gibt aber aller Not zum Trotz Menschen, die ihre Tiere lieben, auch wenn sie vielerorts in großer Armut leben. Es fehlt ihnen an Geld, ihre Tiere kastrieren zu lassen, selbst wenn sie es wollten. Bei anderen hat das Wohl der Kinder natürlich Vorrang, was man keinen Eltern der Welt zum Vorwurf machen kann. Um diesen Menschen und ihren Vier­beinern zu helfen, hat Sina Fingerhut am 13. März 2015 die erste humanitäre Tierklinik Grünes Kreuz-Vet. Ambulante Zeleni Krst in Lozinca eröffnet. Dort werden Hunde und Katzen mittelloser Menschen kostenlos kastriert, geimpft und gechippt!

Regelmäßige Unterstützung durch ehrenamtliche Tierärzte
Die Kastrationen sowie das ­Chippen und Registrieren der Tiere ist ein erster wichtiger Schritt zur Eindämmung der ständig wachsenden Streuner­population. Die Ambulanz ist mit allen notwendigen Apparaturen, die für Kastrationen und Notoperationen notwendig sind, ausgestattet. Das Ultraschallgerät, eine OP-Lampe und ein Gerät zur Sterilisation der Instrumente wurden gespendet. Alles andere, die Gebäuderenovierung, Einrichtung und Ausstattung hat die engagierte Deutsche selbst finanziert. Zwei Tierärzte sind fix angestellt. Dr. Tikomir Karaicic und Bojan Lukic erhalten regelmäßig Unterstützung durch ehrenamtlich helfende Veterinäre aus Österreich und Deutschland. Im Mai diesen Jahres war es ­Dermatologin Dr. Karin Taglinger aus Salzburg, die gemeinsam mit ­Elisabeth Färbinger von Partnerhunde Österreich/Deutschland eine Woche ­kostenlos in der Ambulanz arbeitete.

24-Stunden-Notfall-Service für ­verletzte Tiere
„Die Schulung unseres serbischen Teams in Effizienz, Genauigkeit und Hygiene ist ein wesentlicher Schritt zum gegenseitigen Respekt zwischen Tier und Mensch”, betont die Organisatorin. „Und auch der einzig ansässige Tierarzt wird in das Tierschutzprojekt mit eingebunden. Wir streben eine Zusammenarbeit mit möglichst vielen Veterinären der Region an. Unsere mobile Ambulanz wird unter anderem Notfälle übernehmen. Dadurch können wir angefahrene Tiere rasch vor Ort behandeln und Bauernhöfe außerhalb von Lozinca betreuen. Die Bevölkerung auf dem Land hat keine Möglichkeiten, ihre Tiere behandeln zu lassen. Es fehlen im ländlichen Bereich Tierarzt-Praxen und die Wege in die Stadt sind weit.” Um jederzeit Hilfe anbieten zu können, hat die Ambulanz einen 24-Stunden-Notfall-Service eingerichtet, der rund um die Uhr im Einsatz ist.

250 Kastrationen in wenigen ­Monaten
Der Finanzaufwand für den ­Verein beläuft sich derzeit auf etwa 2.000 Euro, den es monatlich zu stemmen gilt. Pro Woche können dreißig bis vierzig Vierbeiner kostenlos kastriert und daneben Tiere zahlungskräftiger Halter entgeltlich behandelt werden. Um die Kosten zu decken, werden Medikamente und Futter verkauft sowie zahlende Kunden mitbetreut. Seit der Eröffnung der Klinik führten die Tierärzte der Klinik fast 250 ­Kastrationen durch (Stand Juni 2015), bei zwei Dritteln der Hunde handelte es sich um weibliche Tiere. „Wenn wir davon ausgehen, dass es hundert­sechzig Hündinnen waren, die je vier Welpen zur Welt gebracht hätten, so haben wir sechshundertvierzig Tieren das furchtbare Schicksal erspart, eines Tages als Streuner auf der Straße zu landen. Und das in wenigen Monaten!”

Lunja Projekt wird begeistert angenommen
Viel Dankbarkeit kommt auch von der ansässigen Bevölkerung. Eine ­ältere Dame brachte ihre kleine Hündin zur Kastration. Eine Nachbarin hatte sie ihr vor einigen Jahren geschenkt. „Die Frau war so unendlich dankbar, denn von ihrer kleinen Rente konnte sie sich den Eingriff unmöglich ­leisten. Ihre Hündin war bereits zweimal ungewollt gedeckt worden und hatte schon neun Welpen geworfen. Die hat sie dann alle verschenkt. Die Frau überreichte uns Kaffee und eine Tafel Schokolade. Viele bringen selbst gemachten Kuchen oder frisch gebackenes Brot mit, einige haben vom Land eine Wurst oder Käse dabei, was sie uns schenken wollen. Wir möchten nicht, dass sie das Bisschen, das sie haben, uns geben. Also haben wir eine Spendenkasse eingerichtet. Umgerechnet einen Euro bitten wir zu geben, wenn sie es möchten. Ein kleines Mädchen (Foto) kam mit ihrem geliebten Hund zur Kastration, ganz allein, und hatte von ihrem Taschengeld Saft und Bonbons gekauft, es waren auch Kaugummis dabei. Was kann man dazu noch sagen? Es gibt Menschen, die ihre Tiere lieben und für sie sorgen wollen, aber selber nichts haben. Wir helfen ihnen und ihren Tieren und damit allen. Denn je weniger ungewollter Nachwuchs, der dann irgendwann zum Straßenhund wird, umso besser.”

Patenschaften für Asylhunde im eigenen Land
Um möglichst viele Hunde von der Straße zu holen, sie zu kastrieren und tierärztlich zu versorgen, hat Lunja die Aktion Patenschaften für Asylhunde gestartet. Tierfreunde aus der Region sollen animiert werden, Asyltiere zu übernehmen. Von Lunja erhalten sie einen Futtergutschein und kostenlose tierärztliche Behandlung des Vierbeiners, falls notwendig. Dadurch sollen europäische Tierheime, von denen viele aus Geldmangel geschlossen werden müssen, entlastet werden. Jedes vermittelte Patentier schafft in den städtischen Tierasylen Platz für weitere Streuner. Eine möglichst enge Kooperation mit den staatlich geführten Tierheimen ist Voraussetzung, um die teils katastrophalen Bedingungen zu verbessern. „Das ist eine Non-Profit Kooperation, die den Tieren und dem Staat zugleich helfen soll”, betont Sina Fingerhut. Sie selbst hat jüngst eine ehemalige Streunerin als Gefährtin für Luke nach Bayern geholt. Die tapfere braun-weiße Hündin war mit dem linken Vorderlauf in eine Falle geraten. Trotz aufwändiger Therapien steht jetzt fest, sie wird das Beinchen nicht behalten können. Die unvermeidliche Amputation steht bevor, doch Sina Fingerhut ist zuversichtlich: „Sie ist jung und wird wunderbar auf drei Beinen zurechtkommen. Den Namen Lunja haben wir gewählt, um die Notwendigkeit unserer Initiative in Serbien zu betonen. Dreibeinchen Lunja wird unser Vereins-Maskottchen sein.”

Vision von Tierambulanzen, die sich selbst finanzieren
Sina Fingerhut hat noch viel vor. Finden sich Unterstützer, soll das Hilfsprojekt auf andere, bedürftige Städte ausgeweitet werden und neue Ambulanzen sollen nach demselben Prinzip entstehen. Diese werden nach der Idee von Lunja nach einiger Zeit eigenständig weiterarbeiten und sich selbst finanzieren können. „Meine Vision ist es, dass wir in Zukunft für Kastrationen keine Spendengelder mehr benötigen und uns weiteren Projekten wie der Unterbringung der Tausende von Straßenhunden widmen können. Es sollte machbar sein, durch die Behandlung von Tieren zahlungskräftiger Besitzer sowie durch Medikamentenverkäufe anfallende Kosten wie Gehälter, Miete und Strom zu finanzieren. Kastrationen von Tieren mittelloser Menschen müssen jedoch kostenlos bleiben.”

Die junge Initiative Lunja könnte als Vorbild für andere Länder mit den­selben Problemen Schule machen und zu einem Musterprojekt zur Lösung der unkontrollierten Vermehrung und Überpopulation von Streunerhunden und -katzen werden.

Nur Hilfe zur Selbsthilfe kann Strukturen ändern
Sina Fingerhut hat viele Ideen, alle sind bodenständig, durchdacht und ­realistisch So ist sie gemeinsam mit der Salzburgerin Erika Ortner fleißig damit beschäftigt, ein Netzwerk rund um ihr Projekt aufzubauen. Dazu wirbt sie derzeit nicht nur um Förderer, Partner, Tierärzte und Volontäre, sondern auch um eine Partnerstadt für Loznica. „Die Stadt Loznica mit ihrem Kulturerbe, dem einzigartigen Kursalon, von dem es nur wenige vergleichbare in Europa gibt, braucht ebenso wie seine Menschen Unterstützung. Wir suchen eine Partnerstadt, die helfen will, einfach so, weil jeder handeln kann!” Helfen können WUFF-Leser natürlich mit einer Spende für die Tierklinik (Infos siehe Kasten). Mit nur 24 Euro kann ein Hund kastriert, geimpft und gechippt werden. Möglichst viele Streuner nach Deutschland oder Österreich zu vermitteln, rettet zwar ebenso Tierleben, löst aber leider das zugrunde liegende Problem nicht. Genau das macht Sina Fingerhuts Projekt so einzigartig, denn die Umsetzung ihrer Ideen verspricht nicht nur kurzfristige, sondern langfristige und nachhaltige Verbesserungen. Hilfe zur Selbsthilfe ist keine ferne Vision mehr, sondern in Loznica bereits gelebte Realität. Wer sich aktiv beteiligen möchte, ob als ­Spender, ­Firma, Partnerverein, Tierärztin/Tierarzt oder Studentin/Student, Volontärin/Volontär: jeder ist herzlich eingeladen mitzumachen, damit Lunja viele engagierte Nachahmer findet und das europaweite Streunerelend vielleicht irgendwann endgültig der Vergangenheit angehört.

WUFF Information
Spendenkontakt

Lunja-Streunerhilfe grenzenlos e.V.
Sparkasse Berchtesgadener Land
Kontonummer 20330502
IBAN: DE58 7105 0000 0020 3305 02
BIC: BYLADEM1BGL

Ust-IDNr. DE 131568088

Weitere Infos, Details auf www.lunja.net

Kontakt
kontakt@lunja.net
Österreich: Erika Ortner
e.ortner@sprachauftritt.at